Achtsamkeit: Praxis innerer Freiheit

Die Erfahrung eines ruhigen und gleichsam offenen und wachen Geistes ist wie eine besondere Form der Freiheit im Sein. Freisein, inmitten eines Meers aus Ereignis und Erleben, im Hier und Jetzt.

Achtsamkeit

Der Fokus zahlreicher Meditationsformen ist die kontinuierliche Förderung von Bewusstseinsklarheit, Wachheit und eine Beruhigung des Geistes. Achtsamkeit kann dabei als eine besondere Form der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Haltung verstanden werden. Dabei steht das bewusste und momentane Erleben und Verhalten im Mittelpunkt, unabhängig davon ob dieses zunächst als angenehm, unangenehm oder eher neutral erfahren wird. In der Meditation aber auch im Alltag gelingt es so nach und nach, von Moment zu Moment, mit allem Angenehmen und Unangenehmen gleichermaßen zu sein, mit allen Erfahrungen also, von denen man gerade gerne mehr oder gerne auch weniger haben möchte, die man unwillkürlich an sich heranzieht oder von sich weg schiebt. Dies wird in geübten Momenten des Loslassens und der dabei entstehenden Gelassenheit möglich. Auf diesem Weg entsteht Gleichmut. Gleichmut bedeutet jedoch in keinster Weise Gleichgültigkeit, Passivität oder ein Hinnehmen und Ertragen. Ganz im Gegenteil können wir durch ein achtsames Antworten aus einer gesunden, teilnehmenden Distanz heraus auch in schwierigen Situationen handlungsfähig bleiben und auf Stressoren bewusst antworten, anstatt impulsiv, rasch und automatisch zu reagieren. Wir können dadurch im Laufe der Zeit und der Übung lernen in solchen Momenten teilzunehmen anstatt teilnahmslos in unseren erlernten Mustern verfangen zu bleiben.

Letztlich bleibt es jedoch offen, inwiefern Sprache und konzeptionelles Denken, insbesondere eben auch eine wissenschaftliche Sprache, überhaupt dazu in der Lage sind, so etwas wie eine Erfahrung von Achtsamkeit vollständig nachvollziehbar zu machen. Häufig wird dieser vergebliche Versuch, Achtsamkeit zu definieren metaphorisch beschrieben: Ist es möglich zu wissen wie eine Mango schmeckt indem ich darüber eine detaillierte Erklärung lese? Wohl kaum. Denn Achtsamkeit und „Meditation ist anders als Sie denken“ (Jon Kabat-Zinn).

Wir erleben vielleicht eine ganz ähnliche Form der geistesgegenwärtigen Wahrnehmung auch ohne bewusste und aktive Achtsamkeitspraxis bspw. in besonderen Momenten der Begegnung mit anderen Menschen, Lebewesen und Naturphänomenen. Wir sind in solchen Momenten bisweilen mit allen Sinnen im Hier und Jetzt. Sehen vielleicht mit unseren Augen das Farbenspiel eines Sonnenuntergangs, hören das Meeresrauschen und den Wind, riechen und schmecken das salzige Meer, spüren den Sand unter den Füßen. Weder das Vergangene noch das Künftige spielen noch eine Rolle. Verbundenheit, Sanftmut und stille Freude, Spontaneität, Frische und Leichtigkeit werden in solchen Momenten wahrnehmbar.

In der Achtsamkeitspraxis selbst sind es dagegen häufig auch sehr feine, stille und unspektakuläre Momente, in denen man ganz bei sich und den Sinnen ist und sich dabei mit den Menschen und der Welt, die einen umgeben, im Raum und im Leben, in Verbindung, Wachheit und Wohlwollen erlebt.

Im Alltag und damit z.T. häufig verbundenen Stress prägt ein solch friedvolles Aufgehen im Moment für gewöhnlich seltener das persönliche Erleben und Verhalten. Beschleunigung und Gleichzeitigkeit, Arbeitsverdichtung oder diverse Formen medialer Zerstreuung sind hierbei herausfordernde Phänomene unserer sozialen Wirklichkeit, Belastungen und Anforderungen unserer Zeit, die jenseits von Zeit-, Projekt- und Freizeitmanagement usw. eine besondere Form der Selbstfürsorge, des Sich-Spürens, In-Kontakt-Seins präventiv sinnvoll und manchmal rückblickend auch notwendig machen. Eine bewährte Praxis hierzu ist die Achtsamkeitspraxis. Achtsamkeit ist dabei weit mehr als ein trainierbarer Modus der Wahrnehmung. Eben auch eine bestimmte Haltung und eine Form des Seins sind damit gemeint. Diese ergibt sich bspw. wenn man dem momentanen Erleben auch in schwierigen Situationen in einem ersten Schritt auf eine bestimmte Weise begegnen lernt: freundlich erforschend, verständnisvoll und wohlwollend annehmend, so wie man einem nahestehenden Menschen im Stress oder in der Not vermutlich auch begegnen würde.

Was bedeutet achtsame Stressbewältigung?

Vor diesem Hintergrund bedeutet es im Stress achtsam zu sein etwa, wenn uns zunächst ein absichtsvolles Innehalten und ein Bewusstwerden des augenblicklichen Geschehens gelingt. Dieses Innehalten und achtsame Hinschauen können wir bspw. durch Meditation trainieren und als Form der Lebenskunst durch Beobachtung und bewusstes Gestalten in unseren Alltag übertragen. Dadurch unterbrechen wir die gesundheitsschädigenden Wirkungen chronisch körperlicher und psychischer Stressreaktionen und gewinnen dabei ebenso ein differenziertes Bild über uns und unsere entsprechenden Reaktionsweisen. Die „nüchterne“ bzw. logische Bewertung von stressigen Situationen (Cool) wird dabei auch durch eine schrittweise Reduktion der physiologischen Angstreaktion (Hot) gefördert. Damit erhöhen wir ganz entscheidend die Wahrscheinlichkeit, antrainierte Verhaltensmuster, die wir im Laufe einer Stressbiographie erlernt haben, zu überwinden und entschieden anders auf die jeweilige Anforderung zu antworten. Die Erforschung hierbei zumeist sehr rascher und vielschichtiger Prozesse und Wahrnehmungen insb. des (Körper-)Bewusstseins ist in strukturierter Weise erlernbar. Die Achtsamkeitspraxis bietet dafür eine entsprechende Form und einen unterstützenden Rahmen. Die Abkürzung „MBSR“ verweist dabei auf ein strukturiertes und wissenschaftlich fundiertes Kursprogramm, in dem Achtsamkeit geübt wird, unter anderem durch Meditation.

Wie übt man Achtsamkeit und was wird dabei gefördert?

Achtsamkeitspraxis ist wie ein konstantes, ergebnisoffenes Fragen  im Fluss: „Was geschieht in diesem Moment?“ Meditationsübungen ermöglichen die Regulierung von Aufmerksamkeit (offene, stete sowie selektive) und dadurch eine Kultivierung von innerer Ruhe und Sicherheit als Voraussetzung für ein freies Erforschen und Annehmen momentaner Gedanken, Emotionen und Körpersignale. Achtsamkeit wird in der Stille und in Bewegung, mit Herz und Verstand, mit dem ganzen Körper und allen Sinnen geübt. Dabei werden grundlegende menschliche Fähigkeiten gefördert: Konzentration und Selbstwahrnehmung, Geduld und Impulskontrolle, Verbundenheit und Selbstakzeptanz.

Zwischen Reiz und (Stress-)Reaktion liegt dabei ein Raum, worin unsere Entscheidungsfreiheit und Entwicklung begründet ist. Achtsamkeit füllt diesen Raum mit Licht und Klarheit.